Ein Mikrotrend hält sich nach meinem Verständnis nicht lange genug, um als echter Trend erkannt zu werden. Er verglüht, weil er zu hell und zu schnell auflodert. Trotzdem können Mikrotrends größere Trends auslösen. Etwas, das zu aufdringlich, zu offensichtlich ist, um in Mode zu kommen, kann später als Relikt einer Zeit rekontextualisiert und letztendlich als zeittypisches Phänomen gedeutet werden. So ist es schon immer gewesen. Die stillosesten Trends eines Jahrzehnts werden fast ausnahmslos zwanzig Jahre später wiederbelebt. Doch in letzter Zeit hat die Art der Berichterstattung Phänomene mit echtem Trendpotenzial auf Mikrogröße schrumpfen lassen. Das vorzeitige Ausschlachten von neuen Trends schafft Mikrotrends – und das geht heute leichter als je zuvor.
Kurzlebigkeit allein macht einen Trend noch nicht zum Mikrotrend. Vielleicht wird er nur von einer bestimmten Altersgruppe verfolgt. Es könnte sich um ein billiges Accessoire handeln, das beim ersten In-Erscheinung-Treten in der Versorgungskette zu weit unten angesiedelt war, um in den High-Fashion-Markt hinaufzusteigen. Manchmal brodelt ein Phänomen eine Zeit lang unter der Oberfläche eines größeren Fashion-Trends, bevor es als ansatzweise relevant wahrgenommen wird. Schauen wir uns als Beispiel einen Artikel aus dem T Magazine der New York Times an, in dem es im Juli 2015 um gefärbte Achselhaare ging. Die Kurzfassung: Bei jungen Frauen, die sich im Sommer nicht die Achseln rasieren, sind Haarfarben von Manic Panic angesagt. Wie jeder weiß, handelt es sich hierbei um eine Randerscheinung mit offensichtlichen Schwachpunkten, die lediglich auf Fotos cool aussieht. „Wie sich zeigt, steckt das Internet bis zu den Achselhöhlen in Frauen, die sich selbige färben“, schreibt Andrew Adam Newman. „Miley Cyrus stellte ihre seit Neuestem pink gefärbten Achseln auf Instagram zur Schau, was ihr mehr als 396.000 Likes und 30.000 Kommentare einbrachte. Auf Instagram wurden unter dem Hashtag #Dyedpits über 700 Fotos von Frauen (und einer Handvoll Männern) gepostet. Und der Blog-Eintrag „So färbst du deine Achselhaare“ von Roxie Hunt, einer Hairstylistin aus Seattle, wurde seit der Veröffentlichung im Oktober mehr als 37.000 Mal geteilt.“
Wer bei kurzlebigen Trends nur auf Zahlen vertraut, ignoriert alle anderen Fakten, die Journalistinnen und Journalisten sonst recherchieren würden. Ein Artikel auf Popsugar erklärt, man müsse neue Hashtags unbedingt im Auge behalten, weil „#Normcore 2014 der am häufigsten gegoogelte Trend“ war, und behauptet damit indirekt, dass Dinge, die häufig gegoogelt werden, eine Auswirkung auf Wirtschaft oder Mode hätten. Nur weil etwas, das von Miley Cyrus gepostet wird, eine Menge Aufmerksamkeit erregt, wird der Inhalt des Postings noch lange nicht zum Trend. Und nur weil viele Leute Inhalte geteilt haben, in denen es darum ging, dass Frauen sich auswaschbare Farben auf einen für seine Schweißabsonderung bekannten Körperteil aufgetragen haben, bedeutet das nicht, dass diese Gruppe dies automatisch nachmacht. Das Thema wird dadurch lediglich zu einem Trending Topic.
Wenn Leute das Internet wie einen realen Ort behandeln, ist das ein erstes Anzeichen dafür, dass sie seine Mechanismen nicht durchschauen.
Werfen wir einen Blick auf das #Heelconcept, ein Mem, das vor einem Jahr aufkam und sich bis heute hält (und sich aufgrund der gegenkulturellen Intention klar vom Mikrotrend unterscheidet). Indem sich das #Heelconcept über Phänomene wie das Fotografieren von Highheels, die wachsende Besessenheit der Social Media mit Schlafzimmergewohnheiten oder die vermeintlich eigene ästhetische Nähe zum Feminismus lustig macht, hinterfragt es die Konzepte hinter Modetrends. Dieses Mem zeigt einen Fuß in einem Stillleben, das die Form eines hohen Absatzes hat, in Wahrheit aber niemals als Absatz funktionieren würde. Die Kreation wird nicht durch Riemen am Fuß fixiert, manchmal ist der Absatz flüssig oder am Boden befestigt. Keine Designerin oder kein Designer könnte eines der Konzepte abkupfern, ohne seine Besonderheit zu verfälschen: Sie sind nämlich Teil der wirklichen Welt, werden mithilfe von alltäglichen Produkten auf graubrauner Auslegeware inszeniert und ließen sich niemals an einem echten Schuhmodell befestigen. Weder gehören sie zur insularen Fashion-Welt, noch wollen sie dazugehören. Sie sind eine nicht trendfähige Modeerscheinung
Verschwindet ein Trend, bevor ein Printmagazin Zeit hatte, über ihn zu berichten, dann war er in Wahrheit vielleicht nur ein Ereignis. Seit es Social Media gibt, kann es passieren, dass Modenschauen, die eine ganze Saison im Voraus gezeigt werden, versehentlich die Kleidung für die aktuelle Saison diktieren. Das liegt daran, dass die Welt heutzutage alles, was in der Mode geschieht, zur selben Zeit sieht und nicht erst Monate später in einer Anzeige. Natürlich läuft es auf dasselbe hinaus. Ein Mikrotrend – wie gefärbte Achselhaare oder untragbare Absätze – war und ist Teil des Modezyklus. Die Looks, die auf dem Laufsteg gezeigt werden, bedienen sich bei Konzepten, die aus Mikrotrends oder nicht trendfähigen Modeerscheinungen stammen, wie man sie heute auf Instagram findet und davor in den Clubs, Protestkulturen und gesellschaftlichen Gegengruppen entdeckt hat. In dieser Hinsicht ist der Laufsteg immer spät dran gewesen, Zeitschriften sogar noch später, obwohl beide oft als Ort zitiert werden, wo ein Trend zum ersten Mal gesichtet wurde. Auf etwas, das in der Luft liegt, zu antworten, es zu verdichten und zu kodifizieren – das ist die Aufgabe der Mode. Anschließend wird das Konzept in etwas Tragbares übersetzt oder von einem Popstar, einer Ladeneinrichtung oder einem Artikel im T Magazine für sich vereinnahmt. Die Aussage – also das von einer größeren Gruppe über einen längeren Zeitraum entwickelte Konzept – hat sich weit über den Äther hinaus verbreitet. Mit seinen anarchistischen Tendenzen webt sich das #Heelconcept beispielsweise in den Stoff eines größeren Trends ein: Von der geistigen Haltung her stellt es eine Reaktion auf den sogenannten Streetstyle dar – und nicht etwa dessen Wiederholung.
Ein persönlicher Stil kann naturgemäß nicht persönlicher werden. Er kann lediglich stärker mit einer bestimmten Person identifiziert werden.
In einem Artikel, den ich vor Kurzem überflogen habe, wurden unter der Frage „Ist #Bonnetcore der nächste große Streetstyle-Trend?“ ein paar „Instagram-Stars“ aufgelistet, die auf Selfies altmodische Hauben tragen. Die meisten Fotos der mit Anzeigen gespickten Diashow stammten von Instagram und zeigten Promis wie den Stylisten und Designer Jake Levy oder die Schauspielerinnen Lauren Avery und Lily Rose Depp mit ironisch übertriebenen Schmollmündern, auf pastellfarbenen Fotos inszeniert und nicht etwa auf der Straße eingefangen. In einem anderen Artikel, den ich vor ein paar Tagen angelesen habe, wird vermutet, Babys lägen im Trend, weil sie häufig auf Laufstegen gesichtet worden seien. Anderswo heißt es: „#Mourncore („Trauerschick“): Neuer heißer Trend oder Hirngespinst eines heißen Freitagnachmittags?“ Und wieder woanders: „Individualität liegt im Trend“. In einem Artikel, der als Antwort auf #Bonnetcore gedacht war, werden diejenigen angegriffen, die über jedes „Trendchen“ (wie z.B. Einteiler aus Plastiktüten oder Selfies mit herzförmigen Haar-Arrangements) berichten: Sie würden Trends in alle Welt hinausposaunen, bis zum Gehtnichtmehr auswalzen und in dem Moment sowieso schon töten, in dem sie ein Phänomen als solches bezeichneten. Merkwürdigerweise wird im Artikel nachdrücklich darauf hingewiesen, dass #Normcore im Gegensatz dazu „absolut real“ sei.
Ein Trend, der mir in der Mode seit Kurzem aufgefallen ist, ist, dass Firmen und Zeitschriften großer Unternehmen journalistische Unbestechlichkeit als überholt ansehen und die Leserinnen und Leser darauf genervt reagieren. Die Wut über Trend-Vorhersagen liegt im Trend. Wo ein Trend ist, lässt die Gegenreaktion nicht lange auf sich warten, obwohl diese spezifische Gegenreaktion, dieser Meta-Trend, von Selbsthass erfüllt ist. Wer andeutet, die neue Art der Berichterstattung sei zu aufmerksamkeitsheischend, um glaubwürdig zu sein, will ausnahmslos selbst Aufmerksamkeit erregen. Ein aufgebrachter Kommentar verteufelt den ganzen Rest gleich mit, und alles fängt damit an, dass eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter eines Nachrichten-Aggregators pro Tag eine bestimmte Anzahl Artikel posten und eine bestimmte Anzahl Seitenaufrufe generieren muss. Wen wundert es, dass AutorInnen, die alle paar Minuten Content erzeugen müssen, sich instinktiv auf so friedliche und fröhliche Themen wie Häubchen und Babys stürzen? Natürlich weiß sie oder er, dass solche Dinge niemals im Trend liegen werden. Aber immerhin beschwören sie Erinnerungen an Glückseligkeit herauf – an die schlichte Hingabe, die es braucht, um eine Kuh zu melken oder einem Kind die Brust zu geben.
In Wahrheit ist es nicht die Mode, die schnelllebiger geworden ist. „Fast Fashion“ ist sicherlich ein Problem, weil sie das System der unverantwortlichen Arbeitspraktiken in der Modeindustrie noch vorantreibt. Es mag logisch erscheinen, die Schuld in der schnellen Verbreitung von Fashion-Trends beim Internet zu suchen. Doch meiner Erfahrung nach wird Trendbewusstsein in den letzten Jahren kein größerer Stellenwert eingeräumt als vorher. Es wird nur fälschlicherweise berichtet, die Leute (gemeint ist ein relativ hoher Prozentsatz der Bevölkerung) würden wegen eines neuen Streetstyle-Phänomens regelrecht ausflippen. Was unsere Sicht auf Modetrends anbelangt, hat sich das Internet in den letzten zehn Jahren lediglich so ausgewirkt, dass sich Berichte heute leichter zu Geld machen lassen und Sensationsjournalismus daher höhere Akzeptanz findet. Das wiederum liegt vor allem an unserem veränderten Umgang mit den Medien. Wir filtern sie sozusagen durch unsere Freunde. Da wir uns von ihnen eher etwas zeigen lassen, wollen Werbeagenturen sicherstellen, dass unsere Freunde ihre Geschichten auch teilen, entweder über eine Webseite, auf der Anzeigen geschaltet sind, oder mit einem direkten Link auf ein Produkt. Wie alle Trending Topics in unseren News-Feeds müssen Trends wenigstens dem Anschein nach eine kritische Masse erreicht haben, um als teilenswert zu gelten. Häubchen liegen nicht im Trend, Stillleben schon, weil Instagram im Trend liegt. Aber so wird es nicht immer sein. Dieser virtuelle Raum ist ebenfalls ein Metatrend. Tatsächlich handelt es sich um ein Phänomen, das die Industrie der Trendvorhersage, Mode und Kunst durchdringt und dabei selbst im Trend liegt. Trends liegen im Trend. Langweilig, oder?
Ein Artikel, den ich vor Kurzem gelesen habe, gibt sich als Essay aus, der sich mit dem Wandel im persönlichen Stil auseinandersetzt. Ich glaube, es wird folgende These aufgestellt: Weil es leichter geworden ist, Kleidungsstücke fast sofort nachdem man sie irgendwo entdeckt hat, zu kaufen und weil aufgrund der heutigen Produktion von Kleidungsstücken ein breiteres Sortiment an Trends für den billigen Massenkonsum angeboten wird, ist der persönliche Stil noch persönlicher geworden. Diese Sichtweise scheint etwas einseitig, konzentriert sie sich doch fast ausschließlich auf billige Arbeitskraft. Offenbar hat wieder einmal ein Autor (dem vermutlich die Deadline im Nacken saß) das Ziel verfehlt und stattdessen eine voreilige, konsumorientierte Analyse abgeliefert. Ein persönlicher Stil kann naturgemäß nicht persönlicher werden. Er kann lediglich stärker mit einer bestimmten Person identifiziert werden.
Vergleicht man, wie sich Mode durch die Einführung des Internets verändert hat, stellt man fest, dass dies vor allem die Berichterstattung betrifft. Heute hat Modeberichterstattung nicht mehr viel mit der monatlichen Trend-Vorschau aus der Blütezeit der Zeitschriften zu tun. Von Einzelpersonen betriebene Style-Blogs sind inzwischen finanziell erfolgreicher als die meisten Websites von Zeitschriften. Verglichen mit der Online-Version eines Printmagazins, haben Blogs geringere Fixkosten und gelten, was Stylingtipps anbelangt, als wesentlich glaubwürdiger: Die LeserInnen durchschauen zwar die Beziehung von Zeitschrift und Werbekunden, nicht aber die Productplacement-Politik der Bloggerinnen und Blogger. Luxusmarken haben den Einfluss von BloggerInnen, Streetstyles und Social Media erkannt und wenden sich verstärkt dem E-Commerce zu. Deshalb verlieren Zeitschriften immer mehr an Bedeutung. Dabei besteht die Aufgabe einer Zeitschrift nicht nur darin, neueste Entwicklungen zu verstehen, sondern auch, originell über sie zu berichten. Als regelmäßig erscheinende Publikation stellt eine Zeitschrift ein Zeugnis des kulturellen Klimas dar. Einige Zeitschriften haben das schon immer gewusst. Sie eignen sich hervorragend als Stethoskop, um flüchtigen Trends den Puls zu fühlen, und später als zuverlässiges Bezugssystem für einen bestimmten Zeitabschnitt. Sie bemühen sich, einen Mikrotrend erst zu erkennen, bevor sie über ihn berichten, und ziehen keine voreiligen Schlüsse. Einige Trends ignoriert man besser, solange sie einem nicht in voller Pracht entgegenfunkeln. Alle anderen werden, selbst nach Jahrzehnten der kulturellen Relevanz, unter dem neu geschaffenen Druck, Anzeigenkunden eine Sturzflut von Seitenaufrufen zu verschaffen, zusammenbrechen und verglühen.
NATASHA STAGGs erster Roman Surveys ist im Jahr 2016 bei Semiotext(e) erschienen. Sie schreibt regelmäßig für DIS Magazine, Kaleidoscope sowie andere Kunstmagazine und ist Senior Editor der New Yorker Modemagazine V und VMAN.
ABBILDUNGEN: Lauren Avery, #bonnetcore Instagram, 2015; Daniela Fernandez, #dyedpits Instagram, 2016; _jo_loves_, #hairhearts Instagram, 2016; M.sty, #heelconcept Instagram, 2015; Jake Levy, #bonnetcore Instagram, 2015